Ungekürzte Szene aus Filguri 2

Enthält Herausgenommene Fragmente aus Kapitel Familiengeheimnisse

Originale Szene:

 

Beruhigend streichelte Melanie ihren Rücken. »Du wurdest verzaubert. Es war nicht deine Schuld!« Schützend nahm Melanie ihre Mutter in die Arme. Als deren Weinen leiser wurde und ihr Körper zu beben aufhörte, strich sie ihr über die Wange. »Möchtest du deine Enkel kennenlernen?«

 

Seufzend löste sich Isabella von ihr. Mit beiden Handgelenken wischte sie sich das  Gesicht trocken. »Ich habe Enkelkinder?«, schluchzte sie.

 

Ebenfalls zu Tränen gerührt, nickte Melanie. Ihre Lippen vibrierten. »Ja, drei!« Ihr Blick fiel auf Mariella. »Bald sogar vier.«

 

Sie fasste eine junge Frau mit weißblonden Haaren, die sich gegen die Spitzen hin violett verfärbten an der Hand und zog sie vor sich. »Das ist Melisan, meine Jüngste.« Dann präsentierte sie ihr eine adrett gekleidete Frau mit strahlend grünen Iriden und scherzte: »Mein Sorgenkind Elke.«

 

»Hallo!«, hauchte Isabella, deren Stimme immer noch zitterte. »Melanie, du hast sie nach deiner Schwester benannt?«

 

Mariellas Augen weiteten sich. »Ich habe noch eine Schwester!«, krächzte sie überrascht. Bereits das Wissen über die eine hatte ihr Leben völlig aus dem Ruder laufen lassen. Sie fragte sich, ob sie eine weitere überlebte.

 

Melanie sah kurz zu ihr. »Nein, Elke war deine Cousine.«

 

»War?« Skeptisch hob Mariella die Augenbrauen.

 

»Ja«, erwiderte Melanie bedrückt. »Sie ist tatsächlich tot. Womit wir bei deinem dritten Enkel wären.« Sie zehrte einen prachtvollen Drachen neben sich. Die meisten seiner Schuppen waren türkis. Auf seiner Stirn erstrahlte ein Karo aus grünen Schuppen. Seine Nase sowie seine Flügel waren orange. Er gehörte zu den prunkvollsten und buntesten Drachen, die sie je gesehen hatte. »Darf ich vorstellen? Joschi. Er ist Elkes und Ryokos Sohn.«

 

Mariella konzentrierte sich, um ihn in seiner Menschenform zu sehen. Joschi, ein großer muskulöser Mann, mit wunderschönen braunen Augen und dunkelbraunen Haaren, zwinkerte ihr frech zu. »Schade, dass du mit mir verwandt bist. Du wärst genau meine Kragenweite.«

 

Er deutete mit den Fingern auf ihren Bauch. »Natürlich erst, wenn du das da hinter dich gebracht hast.«

 

Irritiert zuckte Mariella zurück. Sie traute ihren Ohren nicht. Hatte dieser Casanova das gerade wirklich gesagt?

 

»Mum! Jetzt baggert er auch noch unsere Tante an«, beschwerte sich Elke lautstark. »Genügt es nicht, dass er bisher jede meiner Freundinnen um den Verstand gebracht hat?«

 

»Warum bist du eigentlich sauer, Schwesterherz? Deine kostbare Miriam habe ich nie angerührt.«

 

»Du hast sie geküsst!«

 

Neugierig verfolgte Mariella den Diskurs. Sie fühlte sich wie im Kino. »Ist Miriam deine Geliebte?«

 

»Was? Nein, sie ist meine beste Freundin und seit dieser Idiot sie geküsst hat, versteckt sie sich in ihrem Zimmer.«

 

Joschi grinste frech. »Tantchen, könntest du ihr bitte mitteilen, dass sie nicht so hysterisch und verurteilend sein soll?«

 

Elke zog wütend die Augenbrauen zusammen. »Könntest du ihm bitte sagen, dass er sich verantwortungslos benimmt!«

 

Mariella begann zu kichern. »Vielleicht sagt ihm das besser jemand, der sich nicht von einem Drachen hat schwängern lassen und in den Filguri verliebt ist.«

 

»In welchen?«, neckte sie Melisan.

 

Als Mariella erneut verstummte, schmunzelte diese. »Keine Sorge, ich weiß, dass Hugorio den Spitznamen ›Filguri‹ trägt. Die meisten sind der Meinung, er wäre der Letzte seiner Art. Xipsy und Somea haben mir von dir erzählt. Xipsy hat sogar mit dem Gedanken gespielt, dich zu fressen, bis du Kontakt mit ihm aufgenommen hast. Es hat ihm nicht gefallen, dass du Somea entdeckt hast.«

 

»Wer ist Somea?«, entgegnete Mariella irritiert. Langsam wurde ihr das zu viel.

 

»Also hast du sie gar nie gesehen?« Sie richtete sich an ihre anderen Familienmitglieder. »Bitte, lasst mich sie ihr zeigen.«

 

Melanie, die, seit sie herausgefunden hatte, dass ihre Mutter verzaubert worden war, unglücklich wirkte, zuckte mit den Achseln. »Ganz, wie du willst. Immerhin ist sie dein Gegenstück.«

 

Mariella wusste noch immer nicht, wo ihr der Kopf stand. Überfordert blickte sie in die Runde. »Danke für die Rettung!«

 

»Keine Ursache«, trällerte Melisan.

 

»Alles klar, Tantchen! Für Hugorio tue ich doch alles«, erklärte Elke.

 

Grinsend zwinkerte ihr der Drache Joschi zu. »Ich wollte schon immer durch einen Ort voller Drachen rennen und lustrarische Parolen schwingen! ›Ihr scheißverdammten Drachenschweine. Wäre ich einer von euch, würde ich mich selbst umbringen.‹«

 

»Oh ja! Bitte, tu uns den Gefallen«, warf Elke feindselig ein.

 

Vor den Kopf gestoßen starrte sie Joschi an. »Was ist nur mit dir los? Es war nur ein Kuss!« Seine Wangen liefen rot an und er schien mit den Zähnen zu knirschen.

 

»Bist du dir sicher, dass du nicht in sie verliebt bist?«, erkundigte sich Mariella bei Elke vorsichtig.

 

Elke deutete abwertend auf sie. »Okay, damit ist es amtlich! Ich kann sie nicht leiden.«

 

Betroffen wich Mariella mit dem Oberkörper zurück.

 

Plötzlich zog sich ein breites Lächeln über Elkes Gesicht. »Warum schaust du denn so? Das war nur Spaß. Ich wünschte, ich wäre in sie verliebt. Das würde alles so viel einfacher machen.«

 

Melanie, die nach wie vor Isabella tröstend im Arm hielt, nickte ihr zu. »Wozu hat man Familie?«

 

»Wer konnte so grausam sein, mich mein Kind vergessen zu lassen. Jetzt verstehe ich diesen tiefen Schmerz der Trauer, der sich regelmäßig durch mein Herz frisst und mich glauben lässt, ich wolle sterben. Zauberei hin oder her, wie konnte mir das nur passieren? Ich bin doch willensstark!«

 

Melanie fasste sie an den Oberarmen und sah ihr direkt in die Augen. »Hör auf dich mit Vorwürfen zu bombardieren. Es ist nicht deine Schuld. Außerdem ist derjenige einer der Mächtigsten der Welt.«

 

»Du willst doch wohl nicht sagen, dass es dein Vater war?«

 

Eine einzelne Träne floss über Melanies Wange. »Wer sonst?«

 

Der Schmerz in ihren Augen war unerträglich. Sie würde Verano wohl nie verzeihen. Mariella spürte die schwere Verletzung ihrer Schwester, die sich zurückgesetzt und hintergangen fühlte. Es musste schrecklich für sie sein. Zuerst hatte Verano sie zu Mariellas Wohl geopfert und sich selbst überlassen und sie anschließend auch noch aus dem Gedächtnis ihrer Mutter gelöscht, als hätte es sie nie gegeben. Nicht einmal ihr Andenken hatte er bewahrt. Er hatte sie einfach weggeworfen, als wäre sie wertloser Müll. Zumindest musste sie es so empfinden. Immerhin hatte sie ihn nicht auf der höchsten Terrasse des Klosters in seiner Trauer erlebt, und konnte daher nicht erahnen, wie sehr er sie vermisste. Mariella verkniff es sich jedoch, ihren Vater zu verteidigen, da Melanie momentan bestimmt nicht bereit war, ihr diesbezüglich zuzuhören. Es gab keinen Grund, weshalb sie auf ihr Urteil vertrauen sollte. Sie kannte sie doch gar nicht. Abgesehen davon, dass sich ihre Gesichtszüge ähnelten, waren sie Fremde, die sich auf merkwürdige Weise vertraut fühlten.

 

»Also Schwesterlein, könntest du mich bitte nach Hause zappen. Ich verspäte mich sonst noch zu meinem Date.« Mit seiner Frage lenkte Joschi Mariellas Aufmerksamkeit auf sich. Erwartungsvoll blickte er Elke an. Diese verdrehte entnervt die Augen. »Wer ist es denn diesmal? Eine russische Hungerkönigin oder ein französischer Magerhaken oder nein, eine heiße Zigeunerin, die sich kein Essen leisten kann?«

 

»Was ist dein Problem? Früher hat dich das auch nicht gestört«, verlor Joschi nun endgültig seine Gelassenheit.

 

»Miriam! Sie wäre gut für dich gewesen! Ihr seid wie füreinander gemacht. Aber worin bestand gleich dein Problem? Lass mich überlegen! Ach ja, sie war dir nicht hübsch genug. Nein, warte, hübsch fandest du sie. Sie war dir einfach nur zu schwer. Weißt du, wie lächerlich das ist. Sie hat eine wunderschöne Figur, doch dank dir, denkt sie nun, mit ihr würde etwas nicht stimmen!«

 

»So ein Blödsinn! Sie ist absolut perfekt und einmalig!« Seine Augen glitzerten, ehe er sich abwandte und mit den Worten ›Spar dir die Mühe, ich fliege‹ nach draußen eilte.

 

»So ein Sturkopf!«, fluchte Elke und rannte ihm hinterher.

 

»Ich muss dann auch zu meinem Date.«

 

Erstaunt schnellten die Köpfe von Melanie und dem zweiten Mann in ihre Richtung? »Du hast ein Date? Ehrlich? Mit wem?«

 

Schüchtern senkte das Mädchen mit den blondvioletten Haaren den Blick. »Das erzähle ich euch, wenn wir mehr als eine Verabredung hatten.« Sie winkte verlegen und löste sich in Luft auf.

 

Nun waren nur noch Melanie, Isabella und der fremde Mann, bei dem Mariella bereits einen Verdacht hegte, um wen es sich handelte, in der Runde. Vorsichtig trat sie an ihn heran. »Bist du ...?« Noch ehe sie aussprechen konnte, nickte er: »Ja, der bin ich! Ich habe gerade eine Nachricht von Hugorio erhalten. Die Drachen brechen soeben auf, um dich vor den Lustraren zu retten. Er und dein Vater kennen nun ihre Aufgaben. Sie seilen sich in ein paar Minuten ab.«

 

»Damit wäre die Vereinbarung zwischen den afrikanischen und chinesischen Drachen und den Lustraren wohl vorerst auf Eis gelegt«, bemerkte Mariella.

 

Der Mann schmunzelte. »Solange die Drachen denken, dass sie dich und deine Mutter entführt oder sogar getötet haben, werden sie kaum zu einem Einverständnis kommen.«

 

Melanie hielt Isabella nach wie vor fest und streichelte beruhigend ihren Oberarm. »Lasst uns an einen schöneren Ort gehen.«

 

Gemeinsam mit ihrer Mutter ging Melanie zu Mariella, umarmte sie und löste sich mit den beiden in flackernder Luft auf.

 

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